INTERSEKTIONALITÄT

Visionen einer postrassistischen, postsexistischen, postpatriarchalen Gesellschaft

Panel mit Amina Yousaf.
Organisiert von AMICA e.V.
Sa 16.2., 14:30-16 Uhr

Der Begriff Intersektionalität wurde geprägt von der US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw. Die Begriffe Diversität und Intersektionalität stehen im Mittelpunkt des Workshops von Amina. Der Stuhlkreis ist reichlich groß, aber auf den ersten Blick nicht besonders divers – oder doch? Wir stellen uns nacheinander vor, und jede_r sagt etwas, in dem sie oder er einzigartig ist. Keine einfache Frage für eine Kennenlernrunden. Ihr Nicht-Ernstnehmen, das für viele die Reaktion auf die Überforderung mit dieser Frage ist, hat den auflockernden Effekt, den man sich von Kennenlernrunden erhofft. Wir schreiben auf große Flipchartpapiere, was wir mit den Begriffen Intersektionalität und Diversity verbinden. Intersektionalität wird als eine Art Sonne dargestellt, deren Strahlen verschiedene gesellschaftliche Kategorien oder Ideologien repräsentieren. Die erwünschten, oder in der Norm bevorzugten Eigenschaften befinden sich auf der Nördlichen Hemisphäre, die unerwünschten auf der südlichen. So heißt beispielsweise ein Strahl Androcentrism, dessen männliche Hälfte sich auf der nördlichen und dessen weibliche sich auf der südlichen Hälfte befindet. Wir werden gebeten einzuzeichnen, wo wir uns auf jedem Strahl positionieren würden – das tun wir für uns selbst, oder mit unseren Sitznachbar_innen. Einige Fragen bleiben offen: Geht es um die eigene Positionierung oder um Fremdzuschreibungen? Bedeuten diese Zuschreibungen überall dasselbe? Muss Norm und was bevorzugt wird immer dasselbe sein? Und warum ist der Aufenthaltsstatus kein eigener Strahl?
Danach positionieren wir uns zu verschiedenen Fragen im Raum: an Stationen, die Gender, Klasse, „race,“ Nationalität, Sexualität oder politische Gesinnung heißen. Wir positionieren uns anhand von Fragen wie „Mit welchem Teil Deiner Identität identifizierst Du Dich am meisten?“, „Welcher ist Dir manchmal unangenehm?“, „Welcher empowert Dich, welcher gibt Dir Macht oder Privilegien?“, „Welchen Teil meiner Identität kenne ich am besten?“ Sich zu positionieren ist nicht immer einfach, der Austausch an den Stationen, warum man hier sei und nicht woanders, aber ist erhellend. Man beobachtet sich gegenseitig – wer sich positioniert, gibt nicht wenig über seine Identität preis. Man erfährt vieles, und kann auch vieles klären: Ob es nun eine Folge von Rassismus sei, dass man sich als einzige_r Weiße_r unter Schwarzen Menschen unwohl fühle? Nein, ist es nicht. Als Weiße_r exotisiert zu werden ist eine Erfahrung, die viele machen, wenn sie auf Reisen sind. Mit der Erfahrung von PoC in Gesellschaften, die mehrheitlich weiß sind, ist sie aber schwer vergleichbar. Rassismus und viele andere Herrschaftsverhältnisse äußern sich zwar in Alltagserfahrungen, aber sind darin auch Ausdruck von Machtstrukturen innerhalb der Gesellschaft. Ist Klasse eine Identitätskategorie, die man auch ablegen kann? Und was bedeutet „Klasse“? Ich kann es meinem Gegenüber oft nicht ansehen, was sie oder er für eine soziale Herkunft hat. Klassen haben eigene kulturelle Codes, doch diese kann man performen oder auch nicht. Eine Herkunft aus der Oberklasse gilt als größtes Privileg – doch mit dem falschen Pass im falschen Land kann sie unter Umständen so gut wie bedeutungslos werden. Empowert mich mein Geschlecht, weil ich mich feministisch organisiere, oder organisiere ich mich feministisch, damit ich mein Geschlecht als empowernd empfinden kann? Und ist das dasselbe, wie wenn mir ein Teil meiner Identität Macht gibt? Mit größtenteils fremden Menschen über diese Fragen zu reden ist etwas, das man eher selten im Alltag tut. In diesem Workshop war es möglich. Bewusstsein zu schaffen für die Vielschichtigkeit von Identitäten und für die Komplexität verschiedener Zuschreibungen, wie sie unsere gesellschaftliche Position und Selbsteinschätzung beeinflussen – das war der erste Schritt zum Nachdenken über Intersektionalität, den uns dieser Workshop geholfen hat zu tun.

Amina Yousaf twittert für euch hier. Weitere Infos zu AMICA e.V. gibt's hier.

Kathi King