HOW TO BE AN ANTIRACIST

Anleitung zum Antirassismus

Keynote von Ibram X. Kendi am 17.2., 9:30-11 Uhr

Ibram X. Kendi von der American University in Washington D.C. traf etwa fünf Minuten vor dem Beginn seiner Keynote „How to Be an Antiracist“ (dt. etwa: Anleitung zum Antirassismus) im E-Werk ein. Er wirkte ruhig, fast etwas schüchtern stellte er sich mit leiser Stimme vor. Ein gelegentliches Grinsen bei der Vorstellung seiner Person ließ aber schon seine selbstbewusste Position als Sprecher erahnen. Seinen Vortrag vor ca. 170 Besucher*innen begann er denn auch wenig zurückhaltend: „Für gewöhnlich wird uns allen beigebracht, rassistisch zu sein, und es zu leugnen.“(1) Ein solcher „Nicht-Rassismus“ sei aber eben kein Antirassismus, wie Kendi am Beispiel Donald Trumps erläuterte. Trump betone gerne, dass er „die am wenigsten rassistische Person der Erde“ sei, absurderweise neben seiner offenkundigen Sympathie für White Supremacists. Rassismus, auch der Trumps, lebt gerade davon, dass er immer wieder geleugnet wird: „Verleugnung ist das Herz des Rassismus“. Dies betreffe den primär biologisch motivierten Rassismus von der Kolonialzeit und der amerikanischen Sklaverei bis in die 1950er, ebenso wie den kulturell motivierten Rassismus seither. Der jüngere, kulturelle Rassismus versucht sich von biologisch-rassistischen Argumenten abgrenzen, um selbst nicht-rassistisch zu erscheinen.(2) Diese Strategie der Verleugnung aber bildet das Herz des Rassismus.
Dagegen gilt es, sich anti-rassistisch zu positionieren; das heißt, die Verleugnung von Rassismus nicht länger zu akzeptieren und rassistischen Ideen grundsätzlich entgegenzutreten. Rassistische Ideen bestehen laut Kendi darin, dass sie die Überlegenheit bestimmter ‚rassischer‘ Gruppen über andere behaupten. Anti-Rassismus dagegen muss für die Ebenbürtigkeit einstehen: Gleichheit statt falscher Hierarchien. Kendi führte verschiedene Beispiele rassistischer Ideen an, in den USA etwa der vermeintliche Zusammenhang höherer Kriminalitätsraten mit höheren afro-amerikanischen Bevölkerungsanteilen in bestimmten Nachbarschaften, oder die Wohlstandskluft zwischen Europa und Afrika, die mit bestimmten rassistischen Kultureigenheiten ‚erklärt‘ wird. Hier wie dort gilt aber: Die ökonomische Ausgangslage bedingt solche Ungleichheiten, nicht die Hautfarbe oder eine bestimmte ‚Rassen-Kultur‘. Für Anti-Rassisten sollten menschliche Gruppen überall auf diesem Planeten gleich sein. Nur die ökonomische Situation verschiedener Gruppen ist es nicht, und eben darin gilt es, Ungleichheiten zu beseitigen.
Historisch werde Rassismus oft dadurch erklärt, dass er aus zwischenmenschlicher Ignoranz oder blankem Hass entstehe. Auch heute beschwert man sich ja über populistischen ‚hate speech‘, Hassreden, durch die ignorante und uninformierte Bürger*innen scheinbar getäuscht werden. In seinem Buch Gebrandmarkt ist Kendi dieser Spur nachgegangen. Doch am historischen Ursprung rassistischer Ideen fand er eben nicht einfach Ignoranz und Hass, sondern ökonomische und machtpolitische Interessen. So ist etwa die Idee vornehmlich republikanischer Politiker in den USA, „korrupte schwarze Wähler“ würden es nötig machen, eine Ausweispflicht für Wahlen einzuführen, gepaart mit der Strategie, zugleich Ausweis-Behörden in vornehmlich schwarzen Gemeinden abzuschaffen, kein Produkt bloßer Ignoranz oder unreflektierten Hasses.(3) Es ist eine Verfolgung machtpolitischer Interessen zulasten bestimmter Gruppen, deren Zusammengehörigkeit rassistisch konstruiert wird.(4) Solche Interessen seitens ökonomisch und politisch machtvoller Gruppen sind der Ursprung rassistischer Ideen, etwa der Idee von „korrupten schwarzen Wählern“ (oder auch der von ‚gewaltbereiten arabischen Männern‘ oder ‚schmarotzerischen osteuropäischen Wirtschaftsflüchtlingen‘). Diese Ideen erzeugen rassistischen Hass und Ignoranz, nicht umgekehrt. Anti-rassistisches Handeln kommt deshalb mit gesellschaftlichem Ausgleich zusammen: Ungerechte ökonomische Machthierarchien sollen angegangen und überwunden werden, und ‚nicht-‘rassistische Akteure in Machtpositionen sollen zur Verantwortung gezogen werden. Zusätzlich geht es darum, in politischen Machtpositionen selbst anti-rassistisch zu wirken und politische Programme zu befördern, die auf gesellschaftlichen Ausgleich und Mitbestimmung hinwirken, statt auf Spaltungen entlang von Konstrukten wie ‚Rasse‘.
Kendis Rede endete mit einem solchen Aufruf und begeistertem Applaus. Darauf folgte eine eindrückliche Stunde mit Fragen und Antworten, in der er u.a. seine Definition des Begriffs „Rasse“ (s.u.), weitere Überlegungen zu gesellschaftlicher Diversität in Institutionen und Unternehmen, zu Fragen von ethnischer Identität und zu Politik und Systemkritik vorstellte. Nach einer weiteren Welle von Applaus verschwand er ebenso unscheinbar, wie er angekommen war.

Der ganze Vortrag kann über den Südnordfunk von Radio Dreyeckland hier nachgehört werden. Die Fragerunde findet sich hier.
Kendis letztes Buch Gebrandmarkt (engl. Stamped from the Beginning) findet sich hier bei Jos Fritz in Freiburg. Sein neues Buch How to Be an Antiracist erscheint im Sommer 2019 auf Englisch, Updates dazu sowie zahlreiche kürzere Artikel finden sich auf Kendis Website.

Fußnoten:
(1) Die Keynote wurde auf Englisch gehalten, die Übersetzungen der hier angeführten Zitate stammen von uns.
(2) Vgl. Kap. 28 „Freedom Brand“ in Kendi: Stamped from the Beginning; in Deutschland ähnelt dieser Wechsel in der Argumentation dem von einer neonazistischen Rechten zur „Neuen Rechten“, vgl. „Wer sind die Neuen Rechten?“ auf der Website zu Fuchs, Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten.
(3) Vgl. Blow: „Trump’s Troubles in the Black Belt”; Hajnal, Kuk, Lajevardi: “We All Agree: Strict Voter ID Laws Disproportionately Burden Minorities”. Eine neuere Studie halt allerdings die Wirkungslosigkeit solcher Gesetze fest und schlussfolgert, „that efforts to reform voter ID laws my not have much impact on elections”: Cantoni, Pons: “Strict ID Laws Don’t Stop Voters”.
(4) Vgl. Kendis Definition des Begriffs „Rasse“, engl. „race“: „A power construct of blended difference that operates socially“, „Ein Machtkonstrukt von verschwommener Differenz, das gesellschaftlich wirksam wird.“ Rasse ist also ein in Machtverhältnissen erzeugtes Konstrukt. Dieses Konstrukt beschreibt bestimmte Differenzen und Abgrenzungen, die eigentlich aber nicht klar geschieden sind, sondern vielmehr verschwommen und kontinuierlich in ihr vermeintliches Gegenteil übergehen. Dieses Differenz-Konstrukt nun ist eben keine ‚bloße Theorie‘, sondern es wirkt sich auf gesellschaftlicher Ebene deutlich aus. Schlagendes Beispiel ist eben die Differenz Schwarze-Weiße, bei der uns nach kurzer Überlegung ja allen klar sein müsste, dass es weder Menschen mit vollkommen weißer Haut gibt, noch solche mit vollkommen schwarzer, und dass Hautfarben der Menschheit in allen Nuancen und Abstufungen geschenkt sind. Dennoch wird diese Unterscheidung wie selbstverständlich benutzt, und entlang ihrer konstituieren sich gesellschaftliche Gruppen und Machthierarchien.

Sebastian A. Höpfl, Stephanie Warkentin